
“Wir sind der Staat!”
Vortrags- und Gesprächsreihe
06. – 09. August 2025
Jeweils 18.30 – 19.30 H
Eintritt frei
Auf Deutsch und Englisch
Dem Sonnenkönig Ludwig XIV. wird der Ausspruch „L'état, c'est moi!“ zugeschrieben – ein Satz, der wie kein anderer für das Herrschaftssystem des Absolutismus steht. Angesichts autoritärer Bewegungen und personifizierter Führungsansprüche könnten wir in demokratischen Gesellschaften heute selbstbewusst entgegnen: „Wir sind der Staat!“
Doch wie lässt sich dieses „Wir“ erhalten und stärken? Welche Rolle spielen Individuen, Bürger:innen, an der Demokratie Teilhabende im sozialen und politischen Gebilde? Welche Rolle kann die Kunst – können insbesondere Tanz und Performance im öffentlichen Raum – spielen, um Demokratie erlebbar zu machen?
Diesen Fragen widmet sich die Vortrags- und Gesprächsreihe im Rahmen der TANZWERKSTATT EUROPA. Soziolog:innen, Politikwissenschaftler:innen, Tanz- und Performance-Theoretiker:innen sowie Künstler:innen eröffnen uns ihre Perspektiven auf das gesellschaftliche Miteinander und laden dazu ein, in Dialog über die Grundbedingungen des Zusammenlebens zu treten – und darüber, wie wir unsere Gesellschaft neu denken wollen.
Mi 6.8. Muffatcafé
Isabel Gahren, Forscherin, Transformationsexpertin und Radikale Tochter
"Mut-Muskel-Impuls"
Seit 2019 inspirieren Radikale Töchter zu wirkungsvollen, außergewöhnlichen Formen der politischen Teilhabe. Ihr Trainingsplan aus Aktion, Kunst und Politik ist darauf ausgerichtet, den Funken zu entfachen – zu zeigen, wie einfach es sein kann, ins Handeln zu kommen und sich für Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit einzusetzen.
Angelehnt an die Idee des „Mut-Muskels-“ hält Isabel Gahren einen Impuls/eine Keynote, in der sie die Arbeit von Radikale Töchter vorstellt und anhand von Beispielen spannende Einblicke in ihre Ansätze und Methoden der Aktionskunst und des künstlerischen Aktivismus gibt.
Wenn sie nicht für die Radikalen Töchter Workshops gibt, leitet Isabel Gahren Projekte im betterplace lab mit Fokus auf Feminismus, Resilienz, Collective Impact und Wellbeing. Darin erforscht sie angewandt, welche Kompetenzen Individuen und Organisationen der Zivilgesellschaft benötigen, um angesichts der Metakrise handlungsfähig zu bleiben. Davor hat Isabel Gahren in Hamburg Politik und Ethnologie (B.A). und in Barcelona Dokumentarfilm (M.A.) studiert und für den Sender arte Magazinbeiträge für die arte Sendungen Tracks, Metropolis und Chick gedreht, Organisationen in ihrer Transformation begleitet, selber eine gegründet (Future Challenges), singt leidenschaftlich gern Karaoke und sonst dreht sich alles um ihre Tochter.
Do 7.8. HochX Theater und Live Art
Ceren Oran, Tänzerin, Choreografin und Soundpainterin, im Gespräch mit Walter Heun, Künstlerischer Leiter der TANZWERKSTATT EUROPA
"This is not just dancing“
Über der Arbeit von Ceren Oran steht das Credo, dass zeitgenössischer Tanz als Kunstform und Praxis für jeden zugänglich sein kann und sollte. In diesem Sinne konzentriert sich ihre Kompanie Ceren Oran & Moving Borders auf Aufführungsformate, die oft direkte Begegnungen mit dem Publikum ermöglichen wie beispielsweise durch Performances im öffentlichen Raum. Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, die Frage nach Verbindung und Gemeinschaft spielen in Orans Werk eine herausragende Rolle. So reflektiert die Choreografin mit dem Körper gesellschaftliche Zustände, wie etwa die Auswirkungen der Pandemie in „The Urge“ oder das Teilen von Emotionen und Erschöpfung in der 11-tägigen durational performance „Who is Frau Troffea?“. In ihrer ersten Münchner Arbeit, „Heimat…los!“, beschäftigt sie sich mit dem Thema Migration und Identitätsbrüchen zwischen „alter“ und „neuer“ Heimat. Uraufgeführt wurde der Abend 2015, als die sogenannte „Flüchtlingskrise“ auf der Balkanroute auf ihren Höhepunkt zusteuerte. Mit dem künstlerischen Leiter der TANZWERKSTATT EUROPA Walter Heun spricht Ceren Oran über ihre Arbeit und die politische Dimension von Tanz im öffentlichen Raum.
Ceren Oran arbeitet als freischaffende Tänzerin, Choreografin und Soundpainterin. Seit 2015 lebt sie in München, wo sie 2021 mit Karolína Hejnová und einem Kernkollektiv multidisziplinärer Künstler:innen die Kompanie Ceren Oran & Moving Borders gründete. Ihre Stücke für junges Publikum wie „Spiel im Spiel“, „Schön Anders“ und „Elefant aus dem Ei“ und ihre abendfüllenden Bühnenproduktionen wie „Shard“, „Relationshifts“ und „The Urge“ touren international. 2022 wurde sie mit dem Förderpreis Tanz der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Ihr Stück „GUTE WUT“ wurde für den Deutschen Theaterpreis DER FAUST 2025 in der Kategorie Regie Theater für junges Publikum nominiert. Ceren Oran ist Mitglied des Tanztendenz München e.V. sowie des Explore Dance Network und arbeitet eng mit dem Tanzbüro München und Fokus Tanz zusammen. Als Gründungs- und Vorstandsmitglied wirkt sie außerdem in dem globalen Netzwerk Assitej International: Young Dance Network mit.
Fr 8.8. Muffatcafé
Jan Deck, Dramaturg, Regisseur und Kurator
"Politisch Theater machen in Zeiten des aufsteigenden Faschismus"
Etwa 15 Jahre nach Erscheinen denkt Jan Deck über seinen Text „Politisch Theater machen“ neu nach. Geht es in Zeiten wiedererstarkenden Faschismus immer noch darum, dass die (Selbst)Reflexion über Theater Basis des Politischen sein muss? Oder muss Theater stärker politische Themen in den Blick nehmen? Oder ist das heute ein falscher Gegensatz?
Jan Deck ist Politikwissenschaftler, lebt in Frankfurt am Main und arbeitet als freier Dramaturg, Regisseur und Kurator, u.a. als Gründungsmitglied der Performancegruppe profikollektion. Er ist zudem Geschäftsführer von laPROF Hessen e.V. Als Herausgeber und Autor beschäftigt er sich mit verschiedenen Aspekten von Kunst und Gesellschaft.
Sa 9.8. Muffatcafé
Sandra Noeth, Professorin an der Universität der Künste Berlin, Kuratorin, Dramaturgin
"A Matter of Scale / Eine Frage des Maßstabs: Was es braucht, damit ein Körper zum Beweis wird"
Körper stehen im Mittelpunkt politischer Entscheidungsprozesse. Sie sind Akteure und Teilhabende an politischen Aktionen wie Bürgerprotesten und Demonstrationen und unterliegen gleichzeitig Überwachung und Disziplinierung. Als Dokumente und Zeugen liefern sie viszerale, somatische und physische Beweise für die Aushandlung aktueller gesellschaftlicher Fragen und sind wirkmächtige Projektionsflächen für Wünsche, Fantasien und Stereotypen, die offenbaren, was unser individuelles und kollektives Handeln antreibt.
In diesem Vortrag wird Sandra Noeth die Beziehung zwischen Körper und Staat aus der Perspektive des Internationalen Menschenrechts untersuchen und den ambivalenten Status des Körpers in diesem Kontext betrachten. Hierfür wird sie grundlegende rechtliche Konzepte wie die Idee der körperlichen Unversehrtheit, das Prinzip der Unterscheidbarkeit und das Prinzip der Selbstbestimmtheit über den Körper in den Blick nehmen, und mit künstlerischen Arbeiten aus den Bereichen Performance und Choreografie in Dialog bringen. Wie können künstlerische Strategien uns helfen, den ungleichen Schutz von Körpern vor dem Gesetz zu verstehen? Wie kann Kunst den Maßstab wechseln, indem sie übergreifende, oft abstrakte und schwer fassbare Konzepte wie „Freiheit“, „Demokratie“ und „Würde“ in konkrete (Gegen-) Strategien überführt, die auch unsere Teilhabe am sozialen und politischen Leben betreffen?
Sandra Noeth ist Professorin an der Universität der Künste Berlin und als Kuratorin und Dramaturgin tätig. Sie hat sich auf körperbasierte Forschung an den Schnittstellen von Kunst, Gesellschaft und Politik spezialisiert. Aktuelle Projekte konzentrierten sich auf die Rolle, den Status und die Handlungsfähigkeit von Körpern in Grenzprozessen; die Frage, wie der ungleiche Schutz von Körpern mit ästhetischen Fragen zusammenhängt; die Verkörperung von Gewalt, und den ambivalenten Status des Körpers im Internationalen Menschenrecht. Sie ist Autorin von Resilient Bodies, Residual Effects. Borders and Collectivity from Lebanon and Palestine (transcript, 2019) sowie Mitherausgeberin von Breathe. Critical Investigations into the Inequalities of Life (mit J. Janša, 2023) und Shielding: Body-based Studies on Integrity and Protection (mit J. Janša und S. Umathum, 2024). Sandra war leitende Dramaturgin am Tanzquartier Wien (2009-14) und als Pädagogin u.a. an der SKH-Stockholm University of the Arts und bei Ashkal Alwan Beirut tätig.